Cyberschule. Erstmals findet in Deutschland eine Online-Lehrveranstaltung über Screendesign statt.
Claudia Gerdes, 1996
C‐Programmierung als Pflichtfach an einer Kunstakademie mag auch heute noch ungewöhnlich erscheinen – Ende der 1980er Jahre war es das gewiss. 1989 startete das World Wide Web als Projekt am CERN, durch dessen weitere Entwicklung eine enge Verflechtung von programmtechnischen Abläufen mit Gestaltungsfragen in vielen Lebensbereichen immer größere Bedeutung bekommt. Damals zu erkennen, dass für die Aufbereitung und Darstellung von Informationen, den Umgang mit Datenbeständen, deren Umfang vor wenigen Jahrzehnten noch völlig unvorstellbar war, Gestaltungsfragen eine zentrale Rolle spielen würden, war visionär.
Nahezu jede Interaktion mit unseren heutigen technischen Apparaten läuft über Mensch‐Maschine‐Schnittstellen, die zu einem erheblichen Teil Computer sind. Menschen in die Lage zu versetzen, sehr komplexe Abläufe mit vergleichsweise einfachen Gesten oder Kommandos in ihrem Sinne zu steuern, und umgekehrt die Ausgaben der Computer verständlich zu machen und auf das zu einem bestimmten Zeitpunkt Wesentliche zu beschränken, setzt die Lösung gestalterischer Probleme in Verbindung mit Computerprogrammen voraus.
Auf der anderen Seite bringt die Erfahrung, wie solche Programme entstehen, funktionieren und welche Schwierigkeiten Programmierung birgt, ganz neue Aspekte in die Gestaltungsprozesse.
Der Maschine muss sehr präzise erklärt werden, was unter welchen Bedingungen von ihr erwartet wird. Das zwingt zu einer genau geplanten Vorgehensweise und einem Hinarbeiten auf ein definiertes Ziel. Das Ziel, also „das Ganze“, immer vor Augen müssen alle Eventualitäten so weit es geht berücksichtigt werden. Jeder Fall, der nicht berücksichtigt wird, kann – und erfahrungsgemäß: wird – irgendwann eintreten und zu ungewollten Ergebnissen führen. Der Blick muss also zugleich dem Ganzen, wie dem Detail, aber auch der gegenseitigen Beeinflussung aller Teile gelten.
Dies bedingt auch die Notwendigkeit der Beschränkung auf das Wesentliche: nur das, was zur Bewältigung der (gegebenenfalls selbstgestellten) Aufgabe / des Auftrags notwendig ist; das aber bis ins kleinste Detail durchdacht.
Und doch können auch in diesem Vorgehen zufällige Ergebnisse – oder richtiger: unerwartete Ergebnisse - Ansätze für eine Weiterentwicklung der ursprünglichen Idee geben. Analog den Genmutationen in der Evolutionslehre werden die allermeisten dieser überraschenden Ergebnisse schlicht Fehler sein, die es zu beheben gilt; gelegentlich jedoch führen sie zu Anregungen, die zu einer Weiterentwicklung des Gesamtkonzepts führen (Serendipitätsprinzip).
Die folgend dokumentierten Ergebnisse der bildo Lehrveranstaltungen müssen im Kontext ihrer Zeit gesehen werden. Überblendungen, automatisierte Abläufe, Interaktionen, das Laden von Bildern musste als Quelltext programmiert und anschließend compiliert (in Maschinencode übertragen) werden.
Die Computer waren um viele Größenordnungen langsamer, die Grafikleistungen waren bescheiden. Vieles, was heute selbstverständlich in jedem Bildbearbeitungsprogramm auf Klick oder Touch an Bildmanipulationen ausgeführt werden kann, musste selbst entwickelt, dass heißt programmiert werden. Wie sollte die Benutzeroberfläche gestaltet werden? Was war technisch machbar? Die enge Verflechtung von Bildarbeit, Mediengestaltung, dem Umgang mit und der Beherrschung von Technik und die kritische Auseinandersetzung der Studierenden ermöglichten die Entwicklung eines weitreichenden Verständnisses, wie das Verhältnis von Mensch und Computer in Zukunft gestaltet werden könnte.
Jedes Werkzeug beeinflusst nicht nur das Ergebnis einer gestalterischen Arbeit und bestimmt entscheidend den Prozess, es verändert auch das Verhältnis der Gestalter zu Ihrer Arbeit und ihr Verhältnis zur Welt. Als universelle Automaten oder auch transklassische Maschinen beeinflussen und bestimmen sie das gesellschaftliche Zusammenleben und ‐arbeiten.
Mit dem Commodore Amiga stand Anfang der 1990er Jahre ein multitasking-fähiges Computersystem mit grafischer Benutzeroberfläche zur Verfügung, dessen Hardware es ermöglichte, Bilder und Animationen auszugeben, die direkt auf einem Videomonitor dargestellt oder per Videorecorder aufgezeichnet werden konnten. Durch erschwingliche Zusatzhardware – was zu dieser Zeit außergewöhnlich war – wurde es möglich, einfache User-Interfaces zu entwickeln (mit Reglern, Knöpfen, Touch-Screen, Audio-Ein- und Ausgabe und ähnlichem) oder Bilder zu digitalisieren (Scanner, Framebuffer) und gemischt mit anderen Videoquellen in Echtzeit auszugeben. Durch die Nutzung der primären Programmiersprache C des Amiga konnten diese Möglichkeiten kreativ und innovativ angewendet und in eigenen Projekten eingesetzt werden.
Von 1989 bis 1995 war C‐Programmierung an der bildo Akademie im Grundstudium ab dem zweiten Fachsemester Pflichtfach, im Hauptstudium dann Wahlfach. Dozenten waren Stefan Ram (Informatiker), Thomas Hermsdorf (bildender Künstler), Axel Schmidt (Informatiker) und Nikolai Luckow (Mediendesigner). Ab 1995 unterrichtete Thomas Kemnitz (Mediendesigner) HTML und JavaScript.
(N.L.)
Die dokumentierte Liste enthält eine Anzahl der gestalterischen Arbeiten, die an der bildo Akademie zwischen 1989 und 1997 in den Programmiersprachen Basic, C und JavaScript entstanden sind.
Eine Auswahl wurde in der Diplomarbeit GIC (Gestalten in C) von Nikolai Luckow in Bezug zu den jeweiligen Aufgabenstellungen - wie z.B. Bildschirmschoner, Rekursion, Fraktale, Bildbearbeitung und Interaktion - als interaktives Informationsterminal aufbereitet. Diese Arbeiten sind im Folgenden als Screencasts aufgeführt.
Werner Mayer / Dieter Jaufmann, 1989
C-Programm, Screencast 00:00:42
Das Programm von Werner Mayer und Dieter Jaufmann war eine der ersten Arbeiten in C an der bildo Akademie. Die Farben der Bildpunkte eines Feldes werden zyklisch verändert.
Claudius Lazzeroni, 1990
C-Programm, Screencast 00:00:32
Aus mehreren Fotografien werden vertikale Streifen verschiedener Breite extrahiert und zu einem einem neuen Bildkomposition zusammengesetzt.
Nikolai Luckow, 1990
C-Programm, Screencast 00:00:59
Das Programm soll den Ablauf rekursiver, das heißt sich selbst wieder aufrufender Programmteile, verdeutlichen. Der Anzahl der Selbstaufrufe entsprechend wird die Unterteilung einer Linie immer feiner.
Birgit Katharina Arnold, 1990
C-Programm, Screencast 00:01:14
Ein in Lage und Form veränderliches Viereck wird durch das Aktivieren eines Feldes in einer rekusiven Funktion gefüllt.
David Bers, 1990
C-Programm, Screencast 00:00:17
Das Programm erlaubt die Anordnung dreier Grundformen im Bildraum durch freies Verschieben zu verändern. Größe und Farben werden bei jedem Start zufallsgesteuert verändert.
Inge Lutz-Gillen, 1990
C-Programm, Screencast 00:00:10
Das Programm mischt zwei Bilder, indem jeweils jeder zweite Bildpunkt der Ausgangsbilder zum Mischbild verschmolzen wird.
Michael Najjar, 1990
C-Programm, Screencast 00:00:08
Das Programm verwandelt in einer einfachen Überblendung den Postdamer Platz.
Andrea Grosse-Leege, 1990
C-Programm, Screencast 00:00:08
Das Programm Rast verringert die Auflösung eines Bildes durch gröbere Rasterung.
Frank Paul, 1990
C-Programm, Screencast 00:00:11
Das Programm überblendet zwei Bilder mit einem Dissolve-Effekt. 1990 von Frank Paul programmiert, wurde es auch in der Video/Computer-Produktion motion pixels (Paul, Lazzeroni, Luckow) eingesetzt.
Lukas Taido Velvet, 1991
C-Programm, Screencast 00:00:29
Der Bildschirmschoner wurde in der Ausstellung »mit Farbstoff« uraufgeführt. Er läuft in einer durch Zufallszahlen ständig veränderten Endlosschleife.
Frank Paul, 1991
C-Programm, Screencast 00:00:21
Das Programm wurde für die Ausstellung »mit Farbstoff« erstellt. Es überlagert zufallsgesteuert Bilder verschiedener Personen und läßt so neue Gesichter entstehen. Als vertonte Video-Version wurde es unter dem Titel My Generation gezeigt.
Nikolai Luckow, 1991
C-Programm
interaktive Installation mit Joystick, uraufgeführt in der Ausstellung »mit Farbstoff«
... Die anspruchsvollste Arbeit der Ausstellung war die Installation "Touch Me" von Nikolai Luckow, die den Betrachter als Benutzer forderte und ihm per Terminal die Illusion eines Dialogs mit der Maschine vermittelte.
Luckow hatte ein Programm entwickelt aus der Kombination von 100 Texten und ihren unterschiedlichen Gattungen: Aufforderung, Kommentar, Bestätigung, Korrekturanweisung, unqualifizierte Bemerkungen... Die Texte erschienen auf Knopfdruck bzw. nach Terminalbewegung. Ob die wechselseitigen Reaktionen in diesem Dialog "richtig" verliefen, blieb uneindeutig. Unter anderem deswegen beginnt der Benutzer dem Gegenüber ein "subjektives", launisches Verhalten einzuräumen, damit zu kalkulieren. Der Titel der Arbeit spielt auch auf dieses obszöne Verhältnis an. Gleichzeitig setzt sich so der Bann der programmierten Kommunikation durch.
Der Ausstellungsbesucher findet sich in der Anspannung eines Videospielers, auch wenn bzw. gerade weil dieses Spiel keine weiteren Bedeutungen vorgibt. Wenn am Ende des Programms dann schließlich doch eine "Trefferquote" angegeben wird, ist die "Erfahrung" längst da, daß es keiner (äußerlichen) Spielregeln mehr bedarf und auch keiner bildhaften Repräsentation von Bombenfliegern. Die Obszönität der Berührung - "Touch Me" - erweist sich darin, "an seinen eigenen Körper angeschlossen (connected) zu sein: angeschlossen an die eigene Geschlechtlichkeit und an die eigene Libido" (Baudrillard). ...
Katja Dion, 1992
C-Programm, Screencast 00:00:36
Das Programm ist eine Computervariante des Memory-Spiels. Die Felder werden durch Interaktion aufgedeckt. Sind zwei Felder gleich, bleiben sie offen.
Wolf Gresenz, 1993
C-Programm, Screencast 00:00:43
Das Programm berechnet in einem sich immer wieder selbst aufrufenden Programmteil eine Fraktale Gestaltung in sechs verschiedenen Rechentiefen.
Susanna Steyer, 1993
C-Programm, Screencast 00:01:04
Das Programm berechnet eine Fraktale Gestaltung in einer vorgegebenen Rechentiefe.
Volkmar Lux, 1994
C-Programm, Screencast 00:00:32
Das Programm ist ein Bildschirmschoner, der mit Komplementär- und unbunten Farben spielt. An den vertikalen Bildschirmgrenzen werden die Farbtöne quasi reflektiert und dabei in ihre Komplementäre umgewandelt.
Susanna Steyer, 1994
C-Programm, Screencast 00:00:14
Das Programm »Werbung macht schön« erzeugt eine einfache Bildmanipulation und die Animation eines Schriftzuges.
Nikolai Luckow, 1994
C-Programm, Screencast 00:18:03
Das Diplomprojekt »GIC« (Gestalten in C) wurde als ein interaktives Informationsterminal mit Touchscreen programmiert, an dem sich Nutzer/innen ein Bild über die C-Programmierung an der bildo Akademie im Rahmen des Mediendesign- und Medienkunststudiums machen können. Öffentliche Uraufführung in der Ausstellung X94 in der Akademie der Künste Berlin